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Fisch als Funker

Fisch als Funker

11     Drei der wichtigsten Mitarbeiter im Wasserwerk der Stadt Göppingen bei Stuttgart
2 sind fast blind, taub, haben Schuppen und essen am liebsten Würmer: Es sind Nilhechte.
3 Sie haben die Aufgabe, ständig das Trinkwasser auf Giftstoffe zu prüfen. Heimat der
4 Nilhechte sind die trüben Schlammfluten afrikanischer Flüsse. Sie benutzen eine Art
5 »Radar«, um sich in ihrem undurchsichtigen Lebensraum zurechtzufinden: Ein
6 elektrisch es Organ am Schwanz schickt pro Minute 400 bis 800 schwache Stromstöße ins
7 Wasser. Ein höchst empfindlicher Empfänger am Kopf meldet, ob sich das »Funksignal«
8 im Wasser ungestört ausbreiten kann oder ob es auf Hindernisse stößt. Er kann sogar
9 zwischen Futter und Feind unterscheiden. Sind Giftstoffe im Wasser, so sinkt die
10 Häufigkeit der Stromstöße unter 200 pro Minute.
211     Die se Eigenschaft der Nilhechte nutzen die Göppinger aus. Elektroden in einem
12 ständig von frischem Wasser durchfluteten Aquarium nehmen die Impulse, die der Fisch
13 abgibt, auf. Eine Elektronik zählt die Stromstöße und schlägt bei Gift Alarm. Macht man
14 diese Impulse hörbar, klingt es wie ein Moped im Leerlauf. Die Wasserwärter nennen
15 ihren Gift-Detektiv daher »Nick Knatterton«.
316     Besonderer Vorteil der Gastarbeiter vom Nil ist ihre Schnelligkeit: Chemiker
17 brauchen für umfassende Analysen der Wasserproben Stunden oder gar Tage. »Unsere
18 drei Knattertons geben uns einfach größere Sicherheit gegen plötzliche Unfälle,
19 ausgelaufene Giftbottiche oder geplatzte Tanks«, lobt Wolfgang Berge, Technischer
20 Direktor des Wasserwerks, die Fische. »Wir sind mit ihnen rundum zufrieden.«
421     Wegen ihrer besseren Sinnesorgane und größeren Empfindlichkeit werden seit
22 langem Tiere und Pflanzen als »Bioindikatoren« benutzt: Einst nahmen die Bergleute
23 Kanarienvögel mit in die Stollen; wenn diese von den Käfigstangen fielen, wußten sich
24 die Kumpels von gefährlichen Gasen bedroht. Die Chinesen ziehen auch heute noch
25 abnormes Tierverhalten zur Erdbebenvorhersage heran.
526     Gelegentlich zeigt der Mensch sogar Dankbarkeit für seine »Bioindikatoren«. Das
27 Denkmal eines Erpels im Stadtgarten von Freiburg im Breisgau erinnert dar an, daß sein
28 lebendes Vorbild 1944 durch aufgeregtes Flügel schlagen und lautes Schnattern vor einem
29 Luftangriff warnte - lange bevor die Menschen die Motoren der Bomber hören konnten.
 
     Stern, Nr. 37, 1981