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Ich kann überhaupt nicht richtig wütend werden

Ich kann überhaupt nicht richtig wütend werden

11    Blinker raus. Sie warten auf einen Parkplatz. Und plötzlich flutscht ein anderer
2 Autofahrer vor Ihnen in die Lücke. Sie sagen sich: Was soll's? Suche ich eben weiter...
3 Eine ausgesprochen gesunde Reaktion. Wer sich über solchen Alltagskram nicht immer
4 gleich zu Tode ärgert, erspart sich einiges an Streß.
25    Ein anderes Beispiel : Ihre Nachbarin geht Ihnen furchtbar auf die Nerven,
6 verbreitet Klatsch über Sie, beschwert sich dauernd beim Hausmeister. Sie wiegeln ab:
7 »So schlimm ist es ja nicht. Was soll ich mich mit den Leuten anlegen!« Eine ungesunde
8 Reaktion. Denn mal ehrlich: Der Ärger bohrt weiter. Und vielleicht sind Sie insgeheim
9 sogar sauer auf sich selbst, weil Sie der alten Klatschbase nicht mal die Meinung sagen.
310    »Ich kann einfach nicht richtig wütend werden«. Wenn jemand das von sich
11 behauptet, stimmt etwas nicht , wissen Psychologen. Denn Ärger, Wut und Aggressionen
12 sind Gefühle, die jeder hat. Die Frage ist nur, ob wir sie uns zugestehen und den Frust
13 auch herauslassen. Wer das nie tut, zieht im Alltag oft den kürzeren, handelt sich
14 manchmal sogar handfeste Beschwerden ein. Wenn der Magen weh tut, liegt es also
15 häufig am Ärger, den man nicht verdaut hat...
416    »Ich bin nun mal als sanfter Typ geboren ...«, sagen viele. Was so nicht stimmt.
17 Denn wie wir mit Ärger umgehen, hängt vor allem von den Erfahrungen ab, die wir
18 damit gemacht haben. Das fängt schon damit an, was wir überhaupt als ärgerlich
19 empfinden. Wem immer eingebleut wurde, sich bloß nicht aufzuregen, der redet sich
20 seinen Ärger irgendwann schon von allein aus. Und hat seine Gefühle dann so unter
21 Kontrolle, dass er es überhaupt nicht mehr merkt, wenn ihm ein anderer an den Kragen
22 will. Erst später wird ihm klar : Moment mal, eigentlich war das eine Schweinerei... Meist
23 ist es aber zu spät, um sich noch dagegen zu wehren.
524    Was dahintersteckt, ist auch die Angst vor den Reaktionen der anderen: Wenn ich
25 jetzt etwas sage, wird alles noch schlimmer. In solchen Momenten scheint es einfacher zu
26 sein, den aufkommenden Ärger hinunterzuschlucken, auch wenn man sich auf Dauer
27 dabei nicht besser fühlt.
628    Wer damit Probleme hat, sollte sich einmal überlegen, wie er mit seinen Gefühlen
29 umgeht. Sich zum Beispiel fragen: In welchen Situationen ärgere ich mich? Wann und
30 bei wem lasse ich meine Wut überhaupt heraus? Was ist eigentlich passiert - früher als
31 Kind und heute in der Familie oder im Beruf -, wenn ich tatsächlich mal ärgerlich
32 geworden bin? Gerade kleinen Mädchen werden Zornausbrüche bald abgewöhnt. Für
33 Frauen gilt deshalb ganz besonders: mehr Mut zur Wut!
Freundin, 19.7.1989