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Gurt oder Tod

Gurt oder Tod

11    Er hat schon Hunderte von Autos zu Schrott gefahren. Ganz absichtlich. Eine
2 vierköpfige Dummy-Familie starb für ihn tausend Tode in simulierten Unfällen. Er
3 besorgt sich Autowracks, in denen Menschen starben, und studiert sie. Sein Job ist die
4 Erforschung von Verkehrskatastrophen. Professor Or. Ing. Max Danner aus München ist
5 einer der bekanntesten Unfallforscher der Welt. Und er ist der eifrigste Verfechter der
6 Einführung eines Bußgeldes für Gurtmuffel.
27    Danner weiß, wofür er plädiert. In seiner langjährigen Praxis hat er festgestellt: Der
8 Gurt ist eine der erfolgreichsten Waffen im Kampf gegen den Unfalltod. 20000
9 Unfallbeteiligte blieben ohne Schaden, und 2000 Menschen müßten in jedem Jahr nicht
10 sterben, wenn wirklich jeder Autoinsasse den Sicherheitsgurt anlegen würde,
311    Die Appelle des Münchner Professors verhallen aber weithin ungehört. Nur 44
12 Prozent der deutschen Autofahrer legen den Lebensretter konsequent an. Die restlichen
13 56 Prozent lehnen den Gurt ganz ab oder benutzen ihn nur ab und zu. Um diese
14 Mehrheit aufzurütteln, hat Professor Danner ein Buch geschrieben. Der Titel ist so kurz
15 wie brutal: »Gurt oder Tod«. Danner läßt nur diese Alternative, und er belegt auf 480
16 Seiten mit rund 300 Bildern auf eindrucksvolle Weise, wie der Sicherheitsgurt Leben
17 retten kann.
418    Danner will mit seinem Werk aber nicht nur die Autofahrer aufrütteln. Er zielt
19 auch auf die Politiker. Verkehrsminister Dollinger, seit März im Amt und ein Gegner des
20 Bußgeldes für Gurtmuffel, baut auf den mündigen Autofahrer. Danner sagt ihm, was er
21 vom mündigen Autofahrer hält: »Im ersten Halbjahr 1983 stieg die Zahl der bei einem
22 Autounfall verletzten Personen um 7,2 Prozent, die Zahl der Verkehrstoten stieg gar um
23 7,6 Prozent. Gleichzeitig sank die Gurtanlegequote. Da sieht man doch deutlich, daß mit
24 dem Vertrauen auf die Vernunft und mit Empfehlungen nichts verbessert werden kann.«
525    Der streitbare Professor glaubt ab er nicht, daß sein Buch die Anlegequote nun in
26 wundersame Höhen treiben wird. »Wer bisher den Gurt ablehnte, kauft sich nicht für 32
27 Mark ein Buch, um sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Überzeugend wirkt
28 tatsächlich nur ein Bußgeld.« Und er zitiert auch gleich Erfahrungen in England. »Dort
29 ist seit Februar bei Nicht-Angurten ein Bußgeld von 50 Pfund (rund 200 Mark) fällig.
30 Prompt kletterte die Anschnallquote auf 95 Prozent. Inzwischen legen sogar 97 Prozent
31 der Briten den Gurt regelmäßig an. Die Zahl der Verletzten und Getöteten ging sofort um
32 30 Prozent zurück.«
633    Als exakter Wissenschaftler verschweigt Professor Danner natürlich nicht, daß es
34 auch Unfallsituationen gibt, in denen der Gurt nicht zum Retter, sondern zum Killer
35 wird. Bei 0,24 bis 0,65Prozent aller Unfälle kann das geschehen. Danner dazu: »Das ist
36 ein Risiko wie bei gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen. Da kann beim Spritzen auch
37 mal eine Infektion auftreten.«
738    Auch die Herren von der Automobilindustrie bekommen von dem Gurt-Papst ihr
39 Fett ab: »Noch immer gibt es keine einheitlichen Gurtschlösser; der obere
40 Gurt-Verankerungspunkt ist nach wie vor bei fast allen Autos nicht verstellbar, um den
41 unterschiedlichen Größen der Fahrer gerecht zu werden; noch ist in vielen Wagen der
42 untere Befestigungspunkt nicht mit dem Sitz gekoppelt; noch gibt es keine serienmäßigen
43 Gurtstrammer, und auch das - nach einem Unfall - automatisch sich öffnende
44 Gurtschloß wird immer noch nicht eingebaut.«
845    Vor allem die oben angeführten Verbesserungen könnten vielen Autofahrern die
46 Angst vor dem Gurt nehmen. Danner: »Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn zumindest
47 innerorts, also im Kurzstreckenverkehr, das Gurt-Bewußtsein etwas steigen würde. Bei
48 Geschwindigkeiten bis zu 80 km/h entfaltet der Gurt seine höchste Schutzwirkung. Und
49 80 Prozent der im Auto getöteten Menschen sterben bei mittleren Geschwindigkeiten (bis
50 60 km/h) in den Ortsbereichen. Und gerade da legen die wenigsten den Gurt an - nur 44
51 Prozent.«
Quick. 13.10.1983