1 | 1 | | »Früher hat mich jedes Schicksal ganz tief berührt. Ich habe alle Probleme der |
| 2 | | Leute, die zu mir kamen, abends mit meinem Mann durchdiskutiert. Das war eine |
| 3 | | wahnsinnige Belastung«, sagt Elisabeth Richter, 38, Bewährungshelferin. Früher, das war |
| 4 | | vor zehn Jahren, als sie am Landgericht München I in der Bewährungshilfe begann. |
2 | 5 | | Sie betreut Straftäter, die aus dem Gefängnis, einer psychiatrischen Klinik oder |
| 6 | | einer Entziehungsanstalt kommen. Sie sind auf Bewährung, ihre Strafe wurde ihnen zum |
| 7 | | Teil oder ganz erlassen. Jetzt sollen sie zeigen, daß sie sich nichts mehr zuschulden |
| 8 | | kommen lassen, daß sie wieder ein normales Leben führen können. Bei diesem Einstieg |
| 9 | | hilft ihnen Elisabeth Richter. Sie ist Ansprechpartner, erledigt Behördengänge, hilft bei |
| 10 | | Job- und Wohnungssuche. |
3 | 11 | | »Ich betreue jeden so intensiv, wie ich kann. Und ich versuche, ihm Spielraum zu |
| 12 | | geben, ihn nicht mehr als nötig zu überwachen. Es gibt Situationen, wo mich dieses |
| 13 | | Abwägen zwischen Betreuung und Kontrolle extrem belastet.« |
4 | 14 | | Im Lauf der Jahre ist Elisabeth Richter gelassener geworden - und zuversichtlicher: |
| 15 | | »Ich habe eingesehen, daß es auch für extreme Probleme eine Lösung gibt. Wenn ich |
| 16 | | jetzt abends nach Hause gehe, fällt alles von mir ab. Dann konzentriere ich mich auf |
| 17 | | meine Familie, auf mich selbst und darauf, was ich gern mache, zum Beispiel angeln.« |
5 | 18 | | So wie Elisabeth Richter geht es auch anderen Frauen, die beruflich ständig mit |
| 19 | | schwierigen, existenzbedrohenden Problemen anderer Menschen zu tun haben. Ob in der |
| 20 | | Drogenberatung oder Behindertenarbeit - Frauen in sogenannten Helferberufen brauchen |
| 21 | | meist einige Jahre, bis sie es schaffen. sich abzugrenzen, abzuschalten und ihren eigenen |
| 22 | | Bedürfnissen wieder Raum zu geben. Diese Entwicklung, so meinen alle Frauen, ist sehr |
| 23 | | schwierig, aber unbedingt notwendig. Sonst wird die seelische Belastung einfach zu groß. |
| 24 | | Der Wunsch zu helfen darf nicht zum alleinigen Lebensinhalt werden. |
6 | 25 | | »Was ich mache, ist ein Beruf und keine Berufung.« So sieht es Christa Garwers, |
| 26 | | 34. Sie ist Diplompsychologin und arbeitet seit zwei Jahren in einer |
| 27 | | Drogenberatungsstelle. Dort hat sie mit rauschgift-, tabletten- und alkoholabhängigen |
| 28 | | Menschen zu tun, berät sie, wie sie von ihrer Sucht loskommen können, welche |
| 29 | | Therapieformen für sie in Frage kommen. |
7 | 30 | | »So hart es auch klingt: Der Klient kann seine Probleme nicht an mich abgeben. |
| 31 | | Ich helfe ihm, wo's geht, aber er ist für sich selbst verantwortlich«, meint sie. |
8 | 32 | | Das Abschalten hat auch sie erst lernen müssen. »Am Anfang habe ich mich nach |
| 33 | | Feierabend eingeigelt, mich noch mehr mit der Sucht auseinandergesetzt, nachgedacht. |
| 34 | | Dadurch läuft man Gefahr, keine normalen Beziehungen mehr aufbauen zu können. Man |
| 35 | | wird kontaktunfähig, weil einen der Beruf total vereinnahmt«, berichtet sie. Sie sucht sich |
| 36 | | nach Möglichkeit Freunde, die beruflich etwas ganz anderes machen als sie. |
9 | 37 | | Natürlich ist es für Christa Garwers ein großes Erfolgserlebnis, wenn jemand eine |
| 38 | | Therapie erfolgreich abschließt, Aber sie freut sich auch über weniger, zum Beispiel, |
| 39 | | wenn jemand von sich aus den Entschluß gefaßt hat, seine Sucht zu überwinden. |
| 40 | | »Erfolgserlebnisse und Freude an der Arbeit hat man, wenn man seine Ziele und |
| 41 | | Ansprüche an sich selbst nicht zu hoch schraubt. Und man muß sich oft mit dem, was |
| 42 | | man erreicht, zufriedengeben.« |
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| | | Freundin, 13.5.1987 |