| | | Warum sa böse? |
1 | 1 | | Nachmittags auf dem Lande: ein kleiner Junge zerkratzt mit einem Nagel den Lack |
| 2 | | an einem Auto. Der Autobesitzer versetzt dem Kind eine Ohrfeige. Tatbestände: |
| 3 | | Sachbeschädigung und Kindesmisshandlung. Ein Fall für das Amtsgericht? |
2 | 4 | | Die beiden gegnerischen Parteien - der zornige Autobesitzer und die empörte |
| 5 | | Mutter des Jungen - hätten in der Tat vor Gericht gehen können. Sie hätten dort einen |
| 6 | | Papierkrieg entfesselt, viel Geld bezahlen und wohl auch lange auf das Urteil warten |
| 7 | | müssen. Denn die deutschen Amtsgerichte, zuständig für Streitigkeiten solcher Art , sind |
| 8 | | überlastet. |
3 | 9 | | Der Fall kam aber nicht vor Gericht, sondern vor den Schiedsmann Herbert Textor |
| 10 | | in Kassel. Bei ihm war es nicht nur billiger, sondern es ging auch schneller: In zehn |
| 11 | | Minuten war alles vorbei. |
4 | 12 | | Herbert Textor ist einer jener über 5000 Schiedsmänner in der Bundesrepublik |
| 13 | | Deutschland, die unbürokratisch und mit gesundem Menschenverstand in den vielen |
| 14 | | kleinen Streitfällen des Alltagslebens Frieden stiften sollen. Sie ersparen damit den |
| 15 | | Gerichten eine Flut sogenannter Bagatellfälle. Schon seit 150 Jahren gibt es diese |
| 16 | | eigenwillige Instanz des deutschen Rechts, die »ehrenamtliche zur gütlichen Schlichtung |
| 17 | | und zu Sühne versuchen bestellte Person«, wie das Lexikon dieses Amt beschreibt. |
| 18 | | Schiedsmann kann jeder werden, der mindestens dreißig Jahre alt und unbescholten ist, |
| 19 | | über die »Geschäfte des bürgerlichen Lebens« Bescheid weiß und zur |
| 20 | | »unvoreingenommenen Beurteilung« fähig ist. Auch sollte er sich in dem Bezirk, für den |
| 21 | | er ausgewählt wurde, auskennen. Gewählt wird der Schiedsmann vom Stadtparlament. |
| 22 | | Offiziell »bestellt« wird er von der Justizverwaltung: für eine Amtszeit von fünf Jahren. |
| 23 | | Wer einmal auserwählt wurde, kann nicht einfach ablehnen. Das Gesetz verpflichtet ihn |
| 24 | | dazu, das Ehrenamt zu übernehmen. |
5 | 25 | | Es ist zweifellos ein schwieriges Amt. Oft genug wird - im Wohnzimmer des |
| 26 | | Schiedsmannes - schmutzige Wäsche gewaschen, geht es um Beleidigungen im |
| 27 | | Treppenhaus, um Drohungen am Telefon, um chronische Sticheleien zwischen Nachbarn. |
6 | 28 | | Nicht immer sind die Tatbestände auch so eindeutig wie im Fall des zornigen |
| 29 | | Autobesitzers. Immer wieder muss sich der ehrenamtliche Schlichter in kniffligen |
| 30 | | Konflikten zurechtfinden. Für ihn ist es nicht leicht, einen Weg daraus zu finden . |
7 | 31 | | Nicht jeder Fall ist in zehn Minuten zu lösen, zumal der Schiedsmann keineswegs |
| 32 | | wie ein Richter einfach ein Urteil fällen kann, das dann dem einen gefällt und den |
| 33 | | anderen empört. Ein Schiedsmann soll schlichten, nicht richten. |