1 | 1 | | Eine bedauerliche, nicht wegzuleugnende Tatsache: Kinder und Jugendliche lesen |
| 2 | | heute zuwenig. Das kritische Alter liegt meist bei zehn Jahren. Da sie meistens vorher |
| 3 | | gern schmökern, ist es für Eltern wichtig, die Krise rechtzeitig zu erkennen und |
| 4 | | entsprechend einzugreifen. |
2 | 5 | | Nun wäre es falsch, das Kind einfach zur Lektüre zu verdonnern. Damit wird der |
| 6 | | Weg zum Buch leicht ein für allemal verbaut. Besser ist es, zum Lesen zu verführen. Wer |
| 7 | | immer wieder von einem Buch erzählt und schwärmt, erweckt Neugierde. Bis zu dem |
| 8 | | Punkt, daß das Kind Genaueres wissen will, ist dann nur noch ein kleiner Schritt. |
3 | 9 | | Deshalb müssen Eltern ein Buch, das sie empfehlen, selbst kennen. Sie sollten |
| 10 | | später darüber auch mit dem Kind sprechen können. Nicht zur Kontrolle, sondern weil |
| 11 | | die geweckte Begeisterung ein Echo finden will. Jedes gute Buch reizt nämlich zur |
| 12 | | Diskussion. |
4 | 13 | | Und ein zweiter Rat: Vorsicht vor allzu leichter Lektüre! Unsere Kinder sind |
| 14 | | nämlich nicht so anspruchslos, wie die vielen Serienangebote um jugendliche Detektive, |
| 15 | | geheimnisvolle Ferienabenteuer, beliebig aneinandergereihte lustige Streiche glauben |
| 16 | | machen. Prüfen Sie ab er auch jene Bücher, die in den Himmel gelobt oder sogar mit |
| 17 | | einem Jugendpreis ausgezeichnet werden. Nicht selten behandeln sie abseitige und nur |
| 18 | | schwer nachzuvollziehende Probleme, die einem in der »normalen« Familie |
| 19 | | aufgewachsenen Kind zwangsläufig fremd sind. |
5 | 20 | | Vor allem zum Einstieg ideal sind nach wie vor die »Klassiker«, die schon die |
| 21 | | Eltern, als sie noch jung waren, verschlungen haben: »Robinson« also und Heldensagen, |
| 22 | | Mark Twains »Tom Sawyer«, Jack Londons »Wolfsblut«, die spannende »Schatzinsel«, |
| 23 | | Johanna Spyris »Heidi«, von der die Leinwand nur einen müden Abklatsch vermitteln |
| 24 | | konnte, und nicht zu vergessen Karl May, auch wenn mancher Snob darüber die Nase |
| 25 | | rümpft. |
6 | 26 | | Und die vielgepriesenen Sammlungen kürzerer Geschichten, die angeblich weniger |
| 27 | | ermüden? Auch da Vorsicht! Wer liest, will in Spannung gehalten werden und sein Ziel |
| 28 | | nicht schon nach wenigen Seiten erreichen. |
7 | 29 | | Zum Schluß: Machen Sie dem Kind nicht die Comics madig, die nun mal zur |
| 30 | | heutigen »Jugendkultur« gehören. Wer sie verteufelt, rennt gegen eine Wand an und wird |
| 31 | | zudem unglaubwürdig, sobald er ein »vernünftiges« Buch empfiehlt. |
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| | | Quick. 18.11.1982 |