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Verderben aus dem tank

VERDERBEN AUS DEM TANK
 
   Noch im Sterben ist dieser Vogel schön. Sein schwarzbraunes Gefieder mit der feinen
graumelierten Zeichnung glänzt und ist unversehrt. Regungslos hockt er am Nordstrand von Sylt.
Keine Fluchtreaktion, kein Zucken des scharfen Schnabels, als der Biologe Peter Kuhlemann
auf ihn zugeht, ihn anfaßt und untersucht.
5   Es ist ein Eistaucher. Ein sehr seltener, fast gänsegroßer Seevogel , der in der Arktis brütet
und in den Küstengebieten der Nordsee überwintert. Er kennt kaum natürliche Feinde. Selbst
Eisbären fürchten den blitzschnellen, genauen Hieb sein es Schnabels, der auf die Augen zielt.
   Das Tier ist so gut wie tot. Unter seiner rechten Schwinge entdeckt Kuhlemann die Ursache:
einen gelben öligen Schmierfleck, kaum so groß wie ein Handteller. Oft genügt schon ein
10pfenniggroßer Spritzer auf dem Gefieder, um einen Seevogel zu töten.
   Denn das Öl zersetzt den Fettfilm auf den Federn, der gegen das kalte Meerwasser schützt.
Um Ölflecken loszuwerden, gehen die Tiere an Land und putzen sieh buchstäblich bis zum
Umfallen , denn der Reinigungstrieb ist so stark, daß er den Freßtrieb unterdrückt. Da aber
das verklebte Gefieder mit dem Sehnabel gar nicht zu säubern ist , sterben die Vögel schließlich
15an Entkräftung - wie der Eistaucher am Strand von Sylt,
   "Verölte Vögel lassen sich nur retten" , sagt Tierschützer Kuhlemann, "wenn man sie bis zur
nächsten Mauser , dem Gefiederwechsel, in Pflege halten kann." Das Öl muß gewissermaßen
auswachsen. Zumal Waschaktionen mit Spülmitteln und Chemikalien bei den scheuen und
geschwächten Tieren häufig zum Schocktod führen. Außerdem wird dabei auch die Fettschicht
20des Gefieders und somit der Wärmeschutz sowie die Schwimmfähigkeit beeinträchtigt. Der
Versuch, verölte Wildenten durch Behandlung mit einem Spülmittel zu retten , schlug fehl.
Die sauberen und freigesetzten Tiere flogen den nächsten Teich an und ertranken.
   Als Hauptverdächtige für Vogeltod durch die ständige Ölverschmutzung der Nordsee gelten
seit 1978 die Bohrinseln, von denen einige nur mit provisorischen Verschlüssen gesichert sind,
25die sich bei hartem Seegang lösen können. Als deshalb Anfang Januar im Kattegat zwischen
Schweden und Dänemark rund 30.000 verölte Seevögel antrieben und Tausende, die nicht
mehr zu retten waren, von Jägern erschossen wurden , vermuteten Experten wie der norwegische
Kriminalinspektor Arne Rundberg eine lecke Bohrinsel als Hauptschuldigen: .Erst treiben die
Vögel an Land, dann kommen Schutzhelme und anderer Mist von den Bohrtürmen
30angeschwommen, und zu guter Letzt folgt das Öl."
   Analysen des Öls ergaben jedoch, daß noch eine zweite Schmutzquelle für das jüngste
Vogelsterben auf dem Meer verantwortlich war. Und zwar der griechische Tanker "Stylis" ,
der auf der Fahrt von Rotterdam nach Tönsberg im Skagerrak sein Ballastwasser abgelassen
hatte. 1000 Tonnen Restöl flossen dabei in die See.
35   Daß Schiffe ein Wasser-Ol-Gemisch aus ihren Tanks über Bord pumpen, gehört zu den
alltäglichen Umweltsünden auf den Weltmeeren. Zwar gibt es in allen Häfen Firmen, die darauf
spezialisiert sind, Tanker zu reinigen , doch viele Schiffsführer spülen lieber zum Nulltarif.
Der Kapitän der "Stylis" sparte so rund 10.000 Mark.
   Es gibt zwar ein internationales Abkommen, das Schiffen und Bohrinseln verbietet , Öl
40abzulassen. Doch Norwegen und England weigern sich bis heute, den Vertrag zu unterzeichnen
- ihnen gehören die meisten Bohrinseln in der Nordsee.
   Allgegenwärtig sind deshalb die schmierigen Ölteppiche, die mit Gezeiten, Strömungen
und Stürmen über die Nordsee treiben. Im Winter erweisen sie sich als besonders verhängnisvoll,
weil dann viele arktische Vögel vor den europäischen Nordseeküsten leben. Wie ein Magnet
45ziehen die treibenden Lachen die Tiere an , denn Öl glättet die Wogen und verspricht somit ein
bequemes Jagd- und Ruherevier.
   In jedem Jahr verenden auf diese Weise in der Nordsee und im Nordatlantik 400.000 Seevögel
- im Normalfall, wenn keine Bohrinseln oder Tanker bersten.

Stern, 15.1.1981