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Es stampft, zischt, raucht und faucht

ES STAMPFT, ZISCHT, RAUCHT UND FAUCHT
 
   Die Eisenbahn-Nostalgie-Welle rollt, von Jahr zu Jahr bekommt sie mehr Dampf. Je schneller
die Intercity-Züge der Bundesbahn fahren, desto stärker wird der Drang zur guten alten
Dampflokomotive, in der Bundesrepublik, in ganz Europa, selbst in den Vereinigten Staaten.
   Nostalgie? Sehnsucht nach der heilen Welt? Ein sonst nicht eingestandenes Aufbegehren
5gegen Zwänge, gegen Schnelligkeit, Effektivität und Sachlichkeit?
   Sicher, vieles davon schwingt mit in den Reden der Väter, die auf der puffenden Museumsbahn
ihren Söhnen die Funktion der verschiedenen Maschinenteile erklären. Die Vereine brauchen
sich über mangelnden Zulauf nicht zu beklagen, die Museen sind gefüllt, die sonntäglichen
Demonstrations-Fahrten ausgebucht.
10   Was bringt Ärzte und Fabrikanten, Rechtsanwälte und Verwaltungs-Angestellte dazu, Geld
und Freizeit für solch ein Hobby zu opfern? Alte Lokomotiven in Clubs zu pflegen und dazu
die 3. Klasse-Wagen zu putzen, die zu benutzen sie im Alltag entrüstet ablehnen würden?
   Nein, die Sehnsucht nach der besseren Vergangenheit allein treibt sie nicht dazu. In den Clubs,
Vereinen und Museen herrscht ein anderer Wunsch vor. Manchmal eingestanden, aber häufig
15geleugnet, ist es das Verlangen nach Überschaubarkeit und Einsichtigkeit. Kohle - Wasser -
Kessel - Dampf - Zylinder sind noch vorstellbare Elemente, ein Stück Technik, das unbeschadet
seiner komplizierten Einzelberechnung "griffig" scheint, allgemein verständlich, denn hier ist
Technik ja noch zu sehen und zu begreifen, der Phantasie zugänglich. Die Schmierölkanne mit
dem langen Schnabel war auf den ersten Blick verständlich; das Anzeige-Instrument für den
20Schmieröl-Druck auch.
   So argumentieren die Hobby-Eisenbahner freilich nicht. "Schön" seien sie gewesen, die
letzten Dampfloks, "elegant " oder "rassig", und allein deswegen vor dem totalen Abwracken
zu retten. Doch sie sagen "schön" und meinen funktional einsichtig.
   Dennoch erklärt Überschaubarkeit die Welle nur zum Teil , und die anderen Elemente sind
25die menschlicheren. Wer Dampfloks sammelt und Museumsbahnen in Schuf hält, leistet aktiven
Protest gegen die immer rascher sich wandelnde technische Umwelt. Mit der Kohlenschaufel
einen Tender füllen - das mag ein Stück bekenntnishafter Trotz sein, nicht zu den um letzten
Fortschritt Wissenden zu gehören und trotzdem Spaß daran zu haben, etwas in Bewegung zu setzen,
eine Maschine zu beherrschen.
30   Nicht zuletzt werkeln aber jene mit, die an den Wert historischer Zeugnisse glauben und
völlig zu Recht meinen, das Neue solle das Alte nicht total verdrängen.
   Die letzten Dampfloks vor dem Schneidbrenner zu retten, beweist einen Sinn.für Tradition,
der uns bitter nottut. Wie schön, wenn es obendrein Spaß macht, körperliche Bewegung
erfordert und zum großen Teil noch an der frischen (Fahrt-)Luft geschieht.

Zeil Magazin, 8.2.1980