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Die Frau am Steuer

Die Frau am Steuer

Die Britin, die 33 Jahre für ihren Führerschein brauchte

(1) Was hat den Lebenstraum von Venida Crabtree erfüllt? Führerschein Nummer D 0929170, erworben an einem schönen Sommertag im Jahre 2005.
Rund 2000 Fahrstunden stecken in diesem Führerschein, und er hat am Ende 33 Lebensjahre und etwa 27000 Pfund (umgerechnet 40000 Euro) gekostet. Für Venida, die als Masseurin arbeitet, und für ihren Mann Ralph, der als Paketfahrer für die Firma UPS arbeitet ist das ein Vermögen, aber Venida hat trotzdem nicht aufgeben wollen. Niemals.

(2) Venida Agatha Crabtree ist 1955 auf der karibischen Insel St. Vincent geboren und nahm mit 17 Jahren ihre erste Fahrstunde. Ein Paar Monate später war ihre Prüfung, aber die hatte sie nicht bestanden. Sie ist ein nervöser Typ, und wenn sie einen Fehler macht, wird sie noch nervöser. Außerdem hasst sie Prüfungen. Natürlich machte sie weiter.
Venida fährt gern, aber ihr fehlte das Gefühl für das Auto, für den Verkehr.

(3) Jahre vergingen. Venida wechselte ein paar Mal die Fahrschule, aber lernte viel über ihre eigene Persönlichkeit.
Schuld, sagt sie, ist man immer selbst, nie die Anderen. Und wenn man etwas wirklich will, kann man es auch schaffen.
Je länger es dauerte, desto entschlossener wurde sie. „Ich wollte den Führerschein. lch wollte nicht, dass die Leute mich bemitleiden, weil ich aufgebe.“ Irgendwann hörte sie von Roger Jones. Er ist ein geduldiger,
freundlicher Mann. Er wurde ihr Fahrlehrer Nummer sieben.

(4) Dann kam der 6. Juli 2005. Am Morgen hatte Venida meditiert.
„Beruhige dich“, wiederholte sie immer wieder, „konzentriere dich“. Sie versuchte, sich das Auto vorzustellen, das Lenkrad, all die verdammten Knöpfe. Dann betete sie. „Mach, dass der Prüfer mein Freund ist, nicht mein Feind.“ Es war ein herrlicher Tag. Sie kannte den Prüfer schon, weil sie bei ihm schon einmal durchgefallen war, die beiden plauderten, er versuchte, ihr Mut zu machen. „Sei ganz du selbst“, hatte ihr Mann am Morgen gesagt. „Entspann dich. Genieß es.“

(5) Als die 45 Minuten endlich um waren, hatte der Prüfer einige Fehler notiert, aber keine große: Venida hatte bestanden! „Ich wusste, dass du es schaffen würdest“, rief Jones, als sie sich ihm in die Arme warf. „Entschuldige, dass ich dich so oft enttäuscht habe“, stammelte Crabtree lachend, Tränen in den Augen. Dann umarmte sie den Prüfer. “Gott schütze dich, Simon.“ „Es war eine Riesenerleichterung“, sagt sie „wie ein Gewicht, das endlich von meinen Schultern genommen wurde.“ Sie hat sich inzwischen einen Daewoo gekauft, fünf Jahre alt, kirschrot. Die Fahrstunden vermisst sie jetzt schon.

Nach: Hörzu