Background image

terug

Zwischen Mathe und Manege

Zwischen Mathe und Manege

Ramona steht in einer grünen Gardeuniform am Rande des Zirkuszeltes und verkauft Zuckerwatte. Kurze Zeit später wird sie in der Vorstellung akrobatische Kunststücke vorführen. Mit ihren 14 Jahren ist sie keineswegs die jüngste Artistin beim Zirkus Caroli. Zu dem Kölner Unternehmen gehören 17 Kinder, die alle in den Betrieb eingebunden sind.
(1) „Das kommt automatisch“, sagt Zirkuschef Eugen Neigert. „Die Kinder wollen das machen, was die Größeren tun.“ Die meisten Artisten, Clowns und Dompteure setzen eine Familientradition fort. Das Zirkusleben fordert aber ein hohes Anpassungsvermögen, vor allem von den Kindern. Selten besuchen sie länger als einige Wochen dieselbe Schule.
Regelmäßig müssen sie sich in einen neuen Klassenverband eingewöhnen.
„Wenn die Kinder etwas nicht wissen, werden sie von ihren Mitschülern gnadenlos verspottet.“, sagt Annette Schwer. Die ehemalige Gesamtschullehrerin leitet ein in Deutschland einmaliges Projekt: die „Schule für Zirkuskinder“ in Düsseldorf. Eine Lehrkraft betreut die Kinder eines Zirkusbetriebes über das gesamte Schuljahr. Der Unterricht findet in einem speziell hergerichteten Bauwagen statt, den der Zirkus von Spielort zu Spielort mitzieht.

(2) Von den mittlerweile acht Lehrerinnen wird große Flexibilität verlangt. Sie unterrichten regelmäßig an anderen Orten und bilden sich stetig in allen Fächern fort. „Das Engagement ist deutlich höher als bei Regelschulen, aber das ist es, was uns reizt“, schwärmt Annette Schwer. Nun zeigen sich die ersten Früchte: Im vergangenen Jahr bestanden vier Schüler der Düsseldorfer Zirkusschule den
Hauptschulabschluss. Die Idee der fahrenden Penne stammt aus Holland, wo diese schon seit 50 Jahren existieren. Die „Evangelische Zirkus- und Schausteller Seelsorge“ griff die Idee auf und schrieb alle Bundesländer an, etwas Ähnliches auch für Deutschland zu entwickeln. An dem Projekt beteiligen sich zehn Zirkusse mit 58 Kindern. Obwohl es sich bewährt hat, findet das Projekt bislang keine Nachahmer. Hauptursache: die Finanzierung der teuren Minischule.

(3) Deshalb hat der wohlhabende Münchener Zirkus Krone schon vor Jahren Eigeninitiative ergriffen und eine Privatschule für Zirkuskinder gegründet. Probleme mit dem Lernstoff haben die Krone-Schüler in ihrer Schule nicht, das hohe Lernniveau der Zirkuskinder ist auch „kein Wunder“: „Der Unterricht ist hier intensiver als in den herkömmlichen Schulen. Bei uns bekommen die Kinder gezielten Einzelunterricht“, sagt Lehrerin Coulin. „Und Schule schwänzen geht bei uns gar nicht, das würden die Eltern ja sofort mitkriegen.“ Obwohl die Kinder der Krone-Schule oft „sehr gute Schüler sind“, geht von ihnen kaum einer aufs Gymnasium — einmal Zirkus, immer Zirkus, heißt ein altes Sprichwort unter fahrenden Leuten.