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Currywurst und Traubenzucker

Currywurst und Traubenzucker

Experiment: Journalist Theo Müller versucht einen Tag lang ohne Geld auszukommen.

(1) Ich habe ein elektronisches Ticket zum Busfahren, das man hinten im Bus in einen Kasten steckt. Der Kasten bucht dann das Geld vom Konto ab. Normalerweise. Heute wedele ich beim Einsteigen lässig mit meinem Ticket und setze mich hin. Der Fahrer merkt nichts, vielleicht kennt er sich auch nicht so genau damit aus.



(2) In der Innenstadt steige ich aus. Mir ist nach einem guten Frühstück und einer Zeitung zumute. Ich erblicke einen Promotion-Stand unserer Lokalzeitung, an der ein Herr versucht, den Passanten Probe-Abos anzudrehen. Ohne weiteres bekomme ich eine Zeitung und einen Kugelschreiber umsonst. Fast schon zu einfach. Vor einer Fleischerei ist ein Junge dabei einen Grill in Gang zu setzen. Ich bitte um ein Brötchen, er bietet mir sogar eine etwas angebrannte Currywurst an. Dick Soße drauf, dann sieht man nicht mehr, dass die Gratiswurst angebrannt ist.

(3) In der Apotheke esse ich anschließend kleinen Kindern die Traubenzucker-Vorräte weg und bekomme ein Päckchen Zahnpasta zugesteckt.
Nach einem Klobesuch bei McDonald‘s entdecke ich in der Nähe eine „Internetzapfsäule“ mit Touchscreen, an der man kostenlos Nachrichten lesen und nach dem Wetter gucken darf. Mehr geht ohne Kleingeld nicht.

(4) Im Fernsehen sieht das immer so leicht aus:Die Leute klauben Pfandflaschen aus Mülleimern und verdienen damit Cent für Cent ein kleines Zubrot. Das möchte ich auch versuchen. Leider hat Oldenburg eine zuverlässige Stadtreinigung. Mehr als klebrige Kaugummis, halb geleerte Pappbecher und schmierige Taschentücher fische ich am Abend nicht mehr aus den halbleeren Körben. Mittlerweile ist mir ziemlich übel, aber mein Magen knurrt immer noch.

(5) Mit dem letzten Rest von meinem Handyguthaben schicke ich per SMS einen Hilferuf an meinen Kumpel Johann. Kurz darauf sitzen wir auf seine Rechnung Spaghetti Bolognese essend im Nudelladen. Damit endet mein Experiment. Ich frage mich: Ob das immer klappen würde. Kann man sich jeden Tag durchs Leben schnorren? Eine Zeit lang sicherlich. Man bekommt erstaunlich viel hinterhergeworfen. Aber jeden Tag? An einer Mauer hockt eine ältere Frau mit hellblauer Strickjacke und langen Haaren. Teddybären und Plüschhunde stehen neben einer Holzschale, in der ein paar Cent liegen. Bei ihr klappt es nicht mehr.